Kurze Geschichte der Hexenverfolgungvon Thomas Arnt Dieser Artikel basiert auf dem Abschnitt Magie und Hexerei des Kapitels 1, ist hier allerdings unter dem Aspekt der Thematik 'Hexenverfolgung' stark überarbeitet und erweitert.
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Zentrales Anliegen der Inquisition war zunächst die Verfolgung von Ketzerei bzw. Häresie. Der Begriff Häresie (gr. haíresis = das Gewählte, das Nehmen) bezeichnet eine von der offiziellen kirchlichen abweichende Lehre, der Begriff Ketzer (abgel. von gr. katharos = rein) die Anhänger einer solchen Lehre. Die Begriffspaare Häresie und Ketzerei bzw. Häretiker und Ketzer werden üblicherweise
synonym verwendet. Die Vertreter der Kirche sind immer wieder zu Konzilen zusammen getreten, um dort über die offizielle Lehre zu beraten und zu entscheiden, beginnend mit dem Konzil zu Nicäa im Jahr 325, das Kaiser Konstantin I. einberufen hat. Entscheidend ist, dass nur (ehemalige) Christen Häretiker sein können, dass sie also zunächst dem 'wahren' Glauben angehangen haben müssen.
Auch die weltliche Obrigkeit hat, v.a. im Mittelalter, Häresien verfolgt.
Alle großen Kirchen kennen Häresien, doch hat der Protestantismus diese nie in dem Maße verfolgt wie die katholische Kirche, insbesondere begnügte man sich üblicherweise mit der Verurteilung der abweichenden Lehre, ohne dass dies eine Bestrafung der Häretiker nach sich zog.
Die besonders dem Dualismus verbundenen asketischen Gruppen der Katharer erlangten im Mittelalter große Verbreitung und waren als große häretische Bewegungen z.B. unter den
Bezeichnungen Bogomilen, Fratizellen, Waldenser und Albigenser über ganz Südost- und Südeuropa verbreitet. Sie beanspruchten für sich, die reine Lehre zu vertreten und begaben sich damit in einen Konflikt mit der Position der katholischen Kirche, insbesondere da sie oft die Forderung nach Armut vertraten. Als sich den Albigensern in Südfrankreich auch der ansässige Adel anschloss (die Katharer hatten eine große Anzahl von Anhängern bzw. Sympathisanten, die nicht die strengen
Vorschriften wie z.B. Ehelosigkeit der eigentlichen Mitglieder der katharischen Kirche zu befolgen hatten) und sich gegen die Kirche und den französischen König wandte, rief Papst Innozenz III. 1208 sogar zu einem Kreuzzug auf, der von 1209 bis 1229 in die Albigenserkriege mündete. Ein weiterer Kreuzzug fand 1487 gegen die über ganz Europa verteilte häretische Bewegung der Waldenser statt, die sich später z.T. eng an die Reformation anlehnten.
Angesichts der Tatsache, dass die Katharer weite Teile der katholischen Lehre ablehnten und sich ihrerseits selbst in einer katharischen, hierarchisch aufgebauten Kirche organisierten, muss man sie eher als Schismatiker denn als Häretiker betrachten. Gleichwohl ist aber auch die Reformation von der katholischen Kirche zunächst als Häresie angesehen und verfolgt worden.
Trotz Anwendung der Folter und der Möglichkeit des Scheiterhaufens waren die kirchlichen
Inquisitionsverfahren gegen Ketzerei üblicherweise fair und endeten häufig mit milden Urteilen. Auch war die Inquisition zunächst nur auf das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, später dann auf Mittel- und Südeuropa beschränkt. Eine Ausnahme stellt die teils weltliche Spanische Inquisition (ab 1481) dar, die massiv gegen konvertierte Juden und Muslime vorging und dabei das Missfallen selbst der Päpste erregte. Die Spanische Inquisition wurde erst 1830 abgeschafft, nachdem 1826 in
Valencia das letzte Todesurteil verhängt worden war. Ähnlich grausam zeigte sich die Portugiesische Inquisition.
Neben der Spanischen und der Portugiesischen gab es durch Papst Paul III. (1534-1549) seit 1542 eine spezielle Römische Inquisition ('Congregatio Romanae et universalis Inquisitionis'), die sich auch der Verfolgung von Protestanten widmete. 1908 wurde daraus durch Papst Pius X. (1903-1914) das 'Sacra Congregatio Sancti Officii', auch 'Sanctum Officium', formal mit dem Papst
selbst als Präfekt, und 1965 durch Papst Paul VI. (1963-1978) die 'Kongregation für die Glaubenslehre', der nun nicht mehr der Papst, sondern ein Kardinal vorsteht.
Als die Albigenser und andere Katharerbewegungen im 14./15. Jhd. praktisch ausgerottet waren, schränkte die päpstliche Inquisition ihre Tätigkeit zunächst ein, wandelte sich dann aber zunehmend zu einer Institution, die zunächst allgemein Zauberei, dann speziell Hexerei verfolgte. So verfügte schon im Jahre 1326 Papst Johannes XXII. (1316-1334) die Bestrafung von Schadenzauber "nach den Bestimmungen, wie sie für Ketzer galten." (Labouvie S. 22; vgl. auch Behringer S. 72 ff. sowie Kieckhefer S. 223) Dabei stand theoretisch nicht die Hexe im Mittelpunkt des Verfahrens, sondern der Teufel selbst, der der Hexe ihre Fähigkeiten verlieh und der ausgetrieben und besiegt werden sollte (vgl. van Dülmen S. 100, S. 107). Es kam zu einer zunehmenden Verflechtung von Ketzerei, Teufelsbund und Volksmagie, die letzterer ihre "bisherige Harmlosigkeit nahm" (Labouvie S. 21; vgl. auch Behringer S. 73 sowie Kieckhefer S. 226f.). Die Kirche hat Hexerei als ketzerisches Sektentum aufgefasst, als einen organisierten, gemeinschaftlichen Vorgang also. Konnte irgendwo eine Hexe überführt werden, so galt es als sicher, dass sie nicht allein ihr Werk verrichtet hatte, sondern dass es noch andere Hexen geben musste. So zog ein Hexenprozess gewöhnlich weitere Prozesse nach sich, da unter der Folter Namen von angeblichen Mittätern genannt wurden.
Die Argumentation des Christentums gegen Zauberei und Wahrsagerei geht zurück bis in das Alte Testament, im 5. Buch Mose (18,9 bis 18,14):
Wenn du in das Land kommst, das der HERR, dein Gott, dir gibt, dann sollst du nicht lernen, es den Greueln dieser Nationen gleichzutun. Es soll unter dir niemand gefunden werden, der seinen Sohn oder seine Tochter durchs Feuer gehen läßt, keiner, der Wahrsagerei treibt, kein Zauberer oder Beschwörer oder Magier oder Bannsprecher oder Totenbeschwörer oder Wahrsager oder der die Toten befragt. Denn ein Greuel für den HERRN ist jeder, der diese Dinge tut. Und um dieser Greuel willen treibt der HERR, dein Gott, sie vor dir aus. Du sollst dich ungeteilt an den HERRN, deinen Gott, halten. Denn diese Nationen, die du austreiben wirst, hören auf Zauberer und auf Wahrsager. Du aber - so etwas hat der HERR, dein Gott, dir nicht gestattet!
Eva Labouvie hat mit Zauberei und Hexenwerk eine Untersuchung vorgelegt, in der sie einen von der Kirche entwickelten 'theologischen Hexenbegriff' vorstellt und diesem einen sich langsam herausbildenden volkstümlichen Hexenbegriff der Bevölkerung des Saarraumes der frühen Neuzeit gegenüberstellt. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass der Hexenbegriff der Kirche vom Volk zwar mit dessen uralten magischen und abergläubischen Vorstellungen kombiniert wurde, der theologische Begriff jedoch Punkte umfasst, die nur schwer in das bereits vorhandene Bild von Zauberinnen, den Ausübenden schwarzer Magie, eingefügt werden konnten. Im weiteren Verlauf ihrer Untersuchung versucht Labouvie zu ergründen, warum es gerade im Saarraum nicht zu einer obrigkeitsstaatlichen oder kirchlichen Hexenverfolgung kam, sondern die Bevölkerung selbst es war, die Prozesse anstrebte und Mitglieder der dörflichen Gemeinschaft denunzierte. Obwohl ihre Untersuchung auf die Region etwa des heutigen Saarlandes beschränkt ist, können viele Erkenntnisse vor allem zu volkstümlicher und kirchlich indoktrinierter Magie- und Hexereivorstellung mit zeitlichen Variationen für andere Regionen Mitteleuropas ebenso angenommen werden. So beschreiben z.B. Richard van Dülmen in "Imaginationen des Teuflischen" oder Wolfgang Behringer in Hexen und Hexenprozesse den theologischen Hexenbegriff Labouvies inhaltlich gleich.
Zunächst ist festzustellen, dass die Magie, die von Hexen ausgeübt wird, immer schwarze Magie ist, also Schadenzauber, maleficium (Lat. 'Verbrechen', 'Schaden',
'Feindseligkeit', 'Betrug', 'Zaubermittel', 'Zauberei'; nach Langenscheidts Taschenwörterbuch der lat. u. dt. Sprache, Berlin, München 1963, 38. Aufl. 1985). Aber Hexerei ist damit nicht identisch mit schwarzer Magie. Das Merkmal, welches von der Kirche in das Zentrum der Hexenvorstellung sowie Hexenverfolgung gerückt wurde, ist der Pakt der Hexe mit dem Teufel (van Dülmen S. 98, Behringer S. 74, Labouvie S. 23, 64). Das eigentliche Wesen der Hexerei ist die Verschwörung des Teufels gegen
das gesamte Christentum mit Hilfe der Hexen, die an dieser Verschwörung nicht unbedingt freiwillig teilnehmen, sondern vom Teufel Besessene sein können. [Zur engen Verbindung zwsch. Hexe und Teufel vgl. auch die Hexensagen.]
Neben dem Teufelspakt ist die Teufelsbuhlschaft ein weiteres Kennzeichen der Hexerei, außerdem die Teilnahme am Hexensabbat (vgl. auch Hexensagen). So schreibt der Historiker Richard van Dülmen in "Imaginationen des Teuflischen": "Galt doch der
Hexensabbat als das kultische Zentrum des Hexenwesens [...]." (S. 94; vgl. auch Behringer S. 74)
Als weiteres Merkmal tritt hinzu, daß die Kirche Hexerei als Sektentum auffasst (Labouvie S. 22 f., S. 64, vgl. Behringer S. 73 f. sowie Voltmer/Irsigler S. 3100). Die Vorstellungen von Teufelspakt und Hexensabbat deuten dies bereits an.
Zuletzt sei die Fähigkeit der Hexe genannt, mit Hilfe von Gegenständen oder Tieren zu fliegen (van Dülmen S. 112; vgl. auch Behringer S. 74). Nach dem Handwörterbuch des Aberglaubens stammt die Vorstellung vom Hexenflug, genau wie die von der Verwandlung der Hexen in Tiere, aus den Ansichten der Volkstradition und wurde "von der Kirche nie offiziell anerkannt" (Artikel 'Hexe', Sp. 1829 f.; vgl. auch Sagen zum Hexenflug). Van Dülmen gibt dagegen an, dass fast alle Theologen an diese Fähigkeit glaubten:
Ohne den Glauben an den Flug wäre überhaupt die ganze Konstruktion des Hexenbildes zusammengebrochen. Wie hätten sich die Hexen sonst auf dem Sabbat treffen können, wenn nicht durch einen Flug. Allein der Flug schuf die Möglichkeit, sich kollektiv gegen die christliche Religion zu verschwören [...]. (S. 112)
Dies ist das Hexenbild, wie es die Kirche der Bevölkerung vom 14. bis 15. Jahrhundert (Labouvie S. 21 ff.) zu vermitteln versucht hat. Eva Labouvie sieht nun einige wesentliche Unterschiede im Hexenbegriff der Kirche zu dem der Bevölkerung (vgl. auch zahlreiche Beispiele in Biesel, »Dann da die Weiber in Betrübnussen / Widerwertigkeit vnnd Kümmernussen einfallen«. Gelehrte und volksnahe Vorstellungen von Teufelspakt und Hexensabbat in Beier-de Haan/Voltmer/Irsigler, Hg., Hexenwahn. Ängste der Neuzeit, Wolfratshausen 2002, zit. nach Hexen. Dokumente, Quellen, Analysen, Lexika, S. 3349-3375). So unterschied die Kirche nicht zwischen Volksmagie und Teufelsverehrung (Labouvie S. 18; vgl. auch van Dülmen S. 98). Es war für sie unmöglich, dass ein Mensch ohne die Mithilfe des Teufels in der Lage sei, Magie zu praktizieren. Dies bestätigt auch Wolfgang Behringer in Hexen und Hexenprozesse:
Bei der Bekämpfung des zurückgehenden heidnischen Glaubens und des sich davon ablösenden und übrigbleibenden »Aberglaubens« basierte die theologische Doktrin seit der Spätantike auf der Anschauung, daß Zauberei prinzipiell möglich sei, jedoch nicht aus eigener Kraft des Menschen, sondern nur auf der Grundlage einer heimlichen, ausdrücklichen oder impliziten Verständigung des Menschen mit einem Dämon. Darunter wurden zunächst die als Teufel betrachteten heidnischen Götter, später direkt der Teufel des Christentums verstanden. (S. 19f.)
Das Volk glaubte nicht an die kirchlichen Vorstellungen von Teufelspakt, Teufelsbuhlschaft, Hexensabbat und Hexensekte (Labouvie S. 23 ff.), lehnte bis auf Schadenzauber und Hexenflug also alle Merkmale des kirchlichen Hexenbildes ab:
Dem volksmagischen Denken war es zunächst allerdings fremd, alle Magieformen auf teuflischen Einfluß zurückzuführen und Zauberei, selbst in ihrer negativen Form als Schadenzauber, ausschließlich als Teufelswerk anzusehen sowie ein passives Ausgeliefertsein des jederzeit verführbaren Menschen an die Macht des Teufels anzunehmen. [...] Der wissende Mensch wurde nicht als Opfer, sondern als Beherrscher derartiger Machtmittel gedacht, der zudem immer dem Schutz Gottes unterstand. (Labouvie S. 62; vgl. auch S. 25 und S. 232 ff.)
Es war vor allem der Schadenzauber, der das Bindeglied zwischen den alten Zaubervorstellungen und der neuen kirchlichen Hexenlehre darstellte. Labouvie vermutet, dass Hexerei im Volk nur ein neuer Name für ein altes Phänomen war und dass bestimmte ältere Vorstellungen lediglich auf Hexen übertragen wurden (Labouvie S. 219ff.). So wurde Magie oder Zauberei vermutlich erst dann als Hexerei angesehen, wenn durchaus vertraute, 'gewöhnliche' magische Handlungen "in ihren Anwendungsregeln nicht eingehalten, das heißt zur falschen Zeit, am falschen Ort, auf falsche Art und Weise oder zum falschen Zweck verwandt wurden" (Labouvie S. 226, vgl. auch S. 237).
Mit dem Bild der Hexe als Teufelsbündnerin legte die Kirche den Grundstein zu einer bis in das 18. Jahrhundert andauernden systematischen Hexenverfolgung. Nach Labouvie "kann kein Zweifel darüber bestehen, daß es die Kirche [...] war, die den Grundstein für [...] die institutionalisierte Vernichtung von Hexen und Zauberern [...] legte." (S. 17) Auch Wolfgang Behringer ist gleicher Meinung: "Christliche Theologen hatten die Verfolgungspraxis angeleitet und die Hexentheorie entwickelt." (S. 78) Die Hexenverfolgung wurde von beiden Konfessionen gleichermaßen ausgeübt, wobei bezüglich der Intensität und Brutalität je nach Region mal die lutherische, mal die katholische Kirche führend war (Labouvie, S. 34, vgl. auch van Dülmen S. 95). Neben kirchlichen gab es allerdings auch weltliche Gerichte, die Zauberei und Hexerei verfolgten. Insgesamt lässt sich keinesfalls ein einheitliches Verfolgungsbild ausmachen. In manchen Gegenden schlug der kirchlichen Obrigkeit der Widerstand der Bevölkerung entgegen (vgl. Behringer S. 77), in anderen Gegenden versuchte umgekehrt die Kirche dem Verfolgungswahn der Bevölkerung oder der weltlichen Rechtsprechung Einhalt zu gebieten. Auch das Ausmaß der Verfolgungen differierte regional sehr stark, so dass sowohl die Höhepunkte regional abweichend erreicht wurden als auch dass die Hexenverfolgung zu unterschiedlichen Zeitpunkten ihr Ende nahm. Ebenso gab es Unterschiede zwischen Städten und ländlichen Gebieten, wobei die Anzahl der Prozesse, die in Städten abgehalten wurden, i.d.R. geringer war (vgl. Voltmer S. 3248ff.).
Vor allem die von dem Dominikaner und Inquisitor Heinrich Kramer, gen. Institoris veranlasste "Hexenbulle" (=> Originaltext) von Papst Innozenz VIII. (1484-1492) aus dem Jahr 1484 sowie Kramers Werk Hexenhammer (1487; die Mit-Autorenschaft von Jakob Sprenger wird nach Ansicht
der neuesten Forschung stark bezweifelt; vgl. Behringer/Jerouschek in den Vorbemerkungen zu Kramer, S.- 31-40) sorgten für die Verbreitung des kirchlichen Hexenbildes im Volk und damit für die Ausbreitung der Hexenverfolgungen aus hauptsächlich französischsprachigen Regionen erstmals auch nach Deutschland und in andere Gegenden (Labouvie S. 25 f., S. 27). Dagegen meint
allerdings Richard van Dülmen, "daß das volle theologische >Hexenmuster< [...] erstaunlich spät, erst Ende des 16. Jahrhunderts, auftrat" (S. 95). Den Hexenhammer beschreibt Labouvie als ein "Lehr- und Erfahrungsbuch" und "systematische[s] Nachschlagewerk" (Labouvie S. 25 f.). "Seine eindeutig frauenfeindliche Haltung mündete in eine erstmalige Zuweisung der Hexerei zum weiblichen Geschlecht" (Labouvie S. 26; vgl. auch van Dülmen S. 92 ff., Kieckhefer S. 227 f. sowie Behringer S. 77). Der Hexenhammer führt als Untertitel Malleus maleficarum, ist also schon im Titel gegen Frauen gerichtet. So kam es, dass in der Zeit der Hexenverfolgung der Frauenanteil der Angeklagten in einigen Gegenden bei 95% lag. Es gab allerdings auch Regionen mit einem
Frauenanteil unter 50% (Labouvie S. 34). Wolfgang Behringer stellt zu unterschiedlichen Zeiten Anteile zwischen 90% und 30% fest (S. 272).
Nachdem die Hexenbulle die bei Ketzerei anzuwendenden Verfahrensweisen auf den Vorwurf der Hexerei übertrug, war es das Ziel des Hexenhammers, bei Klerikern und weltlichen Gerichten die nötige Sensibilität für das Problem der Hexerei herzustellen:
Und weil einige Seelsorger und Prediger des göttlichen Wortes öffentlich in ihren Predigten an das Volk zu behaupten und zu versichern sich nicht scheuten, daß es keine Hexen gebe und daß sie auch nichts zum Schaden der Geschöpfe durch welcherlei Machenschaften auch immer bewirken könnten und aus diesen unvorsichtigen Predigten manchmal dem weltlichen Arm zur Bestrafung derartiger Hexen die Befugnis beschnitten wurde und dies zur größten Ausbreitung der Hexen und zur Stärkung dieser Ketzerei [geführt hat], deshalb haben die zuvor genannten Inquisitoren [Kramer u. Sprenger; Anm. d. Verf.] in dem Willen, mit allen ihren Kräften allen Gefahren und Angriffen entgegenzutreten, weniger mit Begeisterung als vielmehr unter großen Mühen einen Traktat zusammengestellt. In diesem waren sie nicht nur bestrebt, die Ignoranz derartiger Prediger zurückzuweisen, um den christlichen Glauben zu bewahren, sondern auch zwecks Vertilgung der Hexen die gebührenden Regeln, wie man sie zu verurteilen und wie man sie zu bestrafen habe, gemäß Inhalt der erwähnten Bulle [die Hexenbulle; Anm. d. Verf.] und den Vorschriften der heiligen Kanones. (Hexenhammer, S. 109)
Der Hexenhammer sorgte nicht nur für eine Ausweitung der Verfolgung, sondern zugleich auch für eine Verlagerung der Hexenprozesse von (kirchlichen) Inquisitionsgerichten hin zu weltlichen Gerichten, da er erstens die weltliche Gerichtsbarkeit ausdrücklich aufforderte, sich der Hexenprozesse anzunehmen und zweitens die juristische Argumentation lieferte, mit der Verfahren erfolgversprechend eröffnet werden konnten (Eiden S. 3168ff.; vgl. auch Fuge S. 3477f.). Kramers Sorge, die Hexen könnten durch die Hilfe der Dämonen der Folter widerstehen, führte ihn zu dem Gedanken, dass ein Richter eine Hexe auch ohne Geständnis verurteilen solle, wenn er von deren Schuld überzeugt sei. (Ders. S. 3169) Kramer propagierte zur Verfolgung von Hexerei den sog. summarischen Ketzerinquisitionsprozess (ebd.), der den Gerichten eine Fülle an Ausnahmen von der gewöhnlichen Prozessordnung zugestand.
Zwischen 1580 und 1650 kommt es zu einem zweiten Höhepunkt der Hexenverfolgung, der die vorhergehende Verfolgungswelle weit übertrifft und sich, mit deutschen Kleinstaaten als Zentren (vgl. Behringer S. 193f.), über ganz Europa erstreckt. (Voltmer/Irsigler S. 3107, Behringer S. 180f.)
Im Verlauf der zweiten Hälfte des 17. Jhd. ging die Zahl der Hexenprozesse dann kontinuierlich zurück.
Die Hexenprozesse lagen im 17. Jhd. mehr und mehr in der Hand weltlicher Gerichte, die Prozesse u.a. aufgrund von Denunziationen anstrengten. Doch mit der zunehmenden Formalisierung der Rechts- und Verwaltungssysteme wurde es schwieriger, derartige, nach dem gemeinen säkularen Recht unzulässige (Ausnahme-)Verfahren (Eiden S. 3170) überhaupt durchzuführen (Fuge S. 3477).
Genau so, wie im Jahre 1487 der Hexenhammer von Heinrich Kramer wesentlich zur Ausweitung der Hexenprozesse beigetragen hat, hatten zwei andere Bücher einen wesentlichen Anteil am Ende der Verfolgungswelle: die 1631 anonym erschienene Cautio Criminalis oder Rechtliches Bedenken wegen der Hexenprozesse des Jesuiten Friedrich von Spee und vor allem Vom Laster der Zauberei (Dissertatio De Crimine Magiae; => Originaltext) sowie Über die Hexenprozesse (Dissertatio De Origine Ac Progressu Processus Inquisitorii Contra Sagas) von Christian Thomasius aus dem Jahr 1701 bzw. 1712.
Friedrich von Spee lehnt sich im Aufbau seiner Schrift an den Hexenhammer an, indem er insgesamt 51 Fragen stellt, die die einzelnen Kapitel des Buches beantworten. Seine Absicht formuliert er deutlich in seiner Vorrede:
Den Obrigkeiten Deutschlands habe ich dies Buch gewidmet; vor allem denen, die es nicht lesen werden, weniger denen, die es lesen werden. Denn welche Obrigkeit so gewissenhaft ist, daß sie sich verpflichtet fühlt, zu lesen, was ich hier über die Hexenprozesse geschrieben habe, die hat bereits das, um dessentwillen das Buch gelesen werden sollte, nämlich Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt bei der Prüfung dieser Fälle. Sie braucht es darum nicht erst zu lesen und solche Eigenschaften aus ihm zu lernen. Welche Obrigkeit aber so sorglos ist, daß sie es nicht lesen will, die hat es dringend nötig, das Werk zu lesen und aus ihm Sorgfalt und Behutsamkeit zu lernen. Darum sollen es die lesen, die es nicht wollen. Die es lesen wollen, brauchen es nicht erst zu tun.
Ob nun aber einer mein Buch lesen will oder nicht, so wünschte ich doch, daß jeder wenigstens die letzte »Frage« liest und sorgfältig bedenkt. Ja, es wird sogar nicht nutzlos und gegen die Anordnung der Gedanken sein, diesen Abschnitt vor allen übrigen zuerst zu lesen. (Cautio Criminalis, S. 38)
Der Jurist Thomasius entlarvt die fragwürdige Praxis der Hexenprozesse, stellt den Teufel als machtlos in der materiellen Welt dar und führt anders lautende Geständnisse auf die angewandte Folter zurück:
Die Existenz des Teufels wird nicht bestritten; er gehört zu den bösen Geistern. Da diese aber in materiellen Dingen keinen Einfluß haben, kann auch der Teufel weder körperliche Gestalt annehmen noch körperliche Bündnisse mit den Hexen eingehen. Geständnisse solcher Art sind entweder das Ergebnis eines Wahns oder der unmenschlichen Folterqualen. (Rolf Lieberwirth in der Einleitung zu Thomasius, S. 19)
Er argumentiert also sowohl von einem juristischen als auch von einem theologischen Standpunkt aus (vgl. auch Thomasius S. 14, S. 23f.). Diesen und nachfolgenden Schriften Thomasius' ist es zu verdanken, dass zunächst in Preußen eine entscheidende Einschränkung der Hexenprozesse stattfand: jedes Urteil musste vom König bestätigt werden (Thomasius S. 28). Die letzte Hinrichtung in Preußen fand im Jahr 1728 statt (Thomasius S. 30).
Durch diese Wende in der öffentlichen Meinung sowie durch die oben dargestellte zunehmende Formalisierung des Rechtswesens kam es zu einer ständigen Abnahme von Prozessen gegen Hexerei. Die letzte Hinrichtung wegen Hexerei wurde im Jahre 1782 in der Schweiz vollstreckt. Bis dahin fielen der Hexenverfolgung in Europa ca. 60.000 Menschen zum Opfer, die meisten davon im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation (Hexen - TV-Dokumentation, Teil 2, Voltmer/Irsigler S. 3111, Behringer S. 195).
Wolfgang Behringer stellt speziell für die deutschen Staaten eine Zusammenstellung auf, die z.T. allerdings auf Schätzungen basiert:
Hexenverbrennungen in Deutschland
Baden-Württemberg: 3500
Nordbayern (Franken): 4500
Südbayern (Altbayern, Schwaben): 1500
Hessen: 2000
Saarland: 500
Rheinland-Pfalz: 2000
Nordrhein-Westfalen: 4000
Schleswig-Holstein mit Hamburg: 500
Niedersachsen mit Bremen: 1500
Mecklenburg-Vorpommern: 1000
Brandenburg mit Berlin: 500
Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen: 1000
insgesamt: 22500
(nach Behringer S. 194)
Als Ursache für die Hexenverfolgungen in der europäischen Geschichte werden verschiedene Erklärungsansätze bemüht. Auf der Suche nach der Wahrheit sollte man letztendlich keinen dieser Ansätze isoliert betrachten. Wahrscheinlich ist es vielmehr das Zusammenspiel mehrerer Ursachen, das zu den Verfolgungen führte.
Die mittelalterliche Verfolgungswelle fiel in eine Zeit, in der die große Pestwelle um 1350 einen großen Teil der europäischen Bevölkerung dahinraffte - Schätzungen nehmen zwischen 25 und 35 % der Einwohnerzahl an.
Nach den ersten großen Hexenverfolgungen des Mittelalters beruhigte sich die Situation zunächst. Die neuzeitliche Hexenverfolgung ging einher mit starken religiösen Unruhen: Etwa 1520 ergriff die Reformation Deutschland und Nordeuropa, um 1550 setzte die Gegenreformation mit der Rekatholisierung einiger Gebiete ein. Trotz des Augsburger Religionsfriedens von 1555 stürzte Europa 1618 in den Dreißigjährigen Krieg, der bis zum Westfälischen Frieden von 1648 in einigen Gebieten Deutschlands bis zu zwei Drittel der Bevölkerung als Opfer forderte und Hungersnöte und Seuchen mit sich brachte. Das 17. Jhd. war zudem geprägt von der sog. 'Kleinen Eiszeit', die in Mitteleuropa strenge Winter mit sich brachte, die bis in den Spätfrühling durch Schneefall und Kälte den Großteil der Ernten vernichteten. Wolfgang Behringer sieht hier eine der Hauptursachen für das erneute Aufflammen des Hexenwahns:
Eine klima- bzw. unwetterbedingte Mißernte führt zu einer Verknappung der Grundnahrungsmittel; in Europa war dies bis ins 19. Jahrhundert hinein stets das Brotgetreide. Die unmittelbare Folge war eine Teuerung, die dazu führte, daß Teile der Bevölkerung hungerten oder zumindest an Unterernährung litten. Dies erhöhte ganz allgemein die Krankheitsanfälligkeit und bewirkte oft die epidemische Ausbreitung endemischer Krankheiten. Hinzu kam die Zunahme individueller existenzbedrohender Entlassungen in Stadt und Land, Arbeitslosigkeit, Landflucht, Mangelernährung, Mangelbekleidung, das Versagen sonst üblicher sozialer Hilfen und der rapide Anstieg der sozialen Gegensätze. Grob gesprochen lautet die typische Reihenfolge: Unwetter - Mißernte - Teuerung - Hungersnot - Seuche. Dieser Zyklus dauerte in der Regel bis zur nächsten Ernte, also bis zum Spätsommer des folgenden Jahres. Erst danach konnte sich auch für die Unterschichten, die teures Importgetreide nicht bezahlen konnten, die Ernährungssituation wieder verbessern, die Krankheitsanfälligkeit ging zurück, die Epidemien klangen ab. Dies geschah jedoch nur, wenn die nächste Ernte besser ausfiel. Folgte eine weitere Mißernte, so potenzierte sich der Schaden. Gerade im letzten Drittel des 16. und dem ersten Drittel des 17. Jahrhunderts scheint dies häufiger als zuvor oder danach der Fall gewesen zu sein, wie nicht zuletzt die Diskussion um die sogenannte »Kleine Eiszeit« zeigt. (S. 177ff.)
Begünstigend für diese Entwicklung sieht Behringer eine generelle Verhärtung der sozialen Beziehungen (S. 131), d.h. Militarisierung, der Trend zu absolutistischen Herrschaftsformen und eine Brutalisierung des Strafrechts: Nie vor- oder nachher wurden so viele Menschen so grausam hingerichtet wie zwischen 1560 und 1630. (Ebd.)
Beide Höhepunkte der Hexenverfolgung fielen in Zeiten großer Schrecken, in Zeiten von Armut und Hunger, von existentieller Bedrohung also. Ein Erklärungsansatz besagt vor diesem Hintergrund, dass die Bevölkerung sich auf der Suche nach der Ursache für diese Bedrohung gegen die vermeintlichen Hexen wandte, da sie diese als Verursacher von Missernten und Hungersnot ansah.
Ein anderer Erklärungsansatz sieht die beabsichtigte Vernichtung von sogenannten 'Weisen Frauen' als ursächlich für die Verfolgungen. Weise Frauen waren Frauen mit Kenntnissen in Heilkunde, Geburtshilfe und Empfängnisverhütung. Der insbesondere von Gunnar Heinsohn und Otto Steiger (Die Vernichtung der weisen Frauen. Beiträge zur Theorie und Geschichte von Bevölkerung und Kindheit, Herbstein 1985, München 1989) vertretene, stark feministisch geprägte Erklärungsansatz geht davon aus, dass die von Männern geführte Kirche verhindern wollte, dass Frauen Geburtenkontrolle ausübten und damit selbst über sich bestimmen konnten. Um das Wissen um Empfängnisverhütung und Abtreibung zu vernichten, wurden diese Frauen der Hexerei beschuldigt und verfolgt. (Vgl. gegen diesen Ansatz insbes. Irsigler in Hexen. Dokumente, Quellen, Analysen, Lexika S. 3411ff.)
Das Zusammenwirken von mehr als nur einer Ursache für den Hexenwahn belegt Rita Voltmer für den Raum zwischen Maas, Mosel und Rhein:
1. eine allgemeine Krisensituation, 2. die Verbreitung der kumulativen Hexentheorie in allen Bevölkerungsschichten, 3. ein starkes Verfolgungsbegehren 'von unten', das aus den dörflichen und städtischen Gemeinden selbst kam, 4. eine Verfolgungsbereitschaft 'von oben', welche die Prozesse aus eigenem obrigkeitlichem Interesse entweder explizit förderte oder zumindest duldete, sowie 5. ein ausgeprägter Karriere-, Profilierungs- und Bereicherungswille der beteiligten 'Zwischeninstanzen', der Amtleute, Richter, Schöffen, Juristen und Notare. (Voltmer S. 3259)
Behringer (Hg.), Hexen und Hexenprozesse in Deutschland, 4. überarb. u. akt. Aufl. München 2000
Daxelmüller, Zauberpraktiken. Die Ideengeschichte der Magie, Düsseldorf 2001
van Dülmen, "Imaginationen des Teuflischen. Nächtliche Zusammenkünfte, Hexentänze, Teufelssabbate" in van Dülmen, Hg., Hexenwelten, Frankfurt/Main 1987
Eiden, "Vom Ketzer- zum Hexenprozess. Die Entwicklung geistlicher und weltlicher Rechtsvorstellungen bis zum 17. Jahrhundert" in Beier-de Haan/Voltmer/Irsigler, Hg., Hexenwahn. Ängste der Neuzeit, Wolfratshausen 2002, zit. nach Hexen. Dokumente, Quellen, Analysen, Lexika, S. 3150-3181
Fuge, Das Ende der Hexenverfolgungen in Lothringen, Kurtrier und Luxemburg im 17. Jahrhundert in Beier-de Haan/Voltmer/Irsigler, Hg., Hexenwahn. Ängste der Neuzeit, Wolfratshausen 2002, zit. nach Hexen. Dokumente, Quellen, Analysen, Lexika, S. 3476-3503
Hexen. Dokumente, Quellen, Analysen, Lexika, Digitale Bibliothek Bd. 93, 2003 [CD-ROM]
Hexen - Magie, Mythen und die Wahrheit, TV-Dokumentation in drei Teilen, mdr/ARD 2004
Hexenwahn. Ängste der Neuzeit, Wolfratshausen 2002 (hier zit. nach Hexen, Digitale Bibliothek 93)
Die Inquisition, TV-Dokumentation in drei Teilen, ZDF 2003
Kieckhefer, Magie im Mittelalter, München 1992
Kramer, Der Hexenhammer (Malleus maleficarum), München 2000
Labouvie, Zauberei und Hexenwerk, Frankfurt/Main 1991
Lea, Geschichte der Inquisition im Mittelalter, Frankfurt/Main 1997 [Nachdr. d. Ausg. Bonn 1905-1913]
Microsoft Encarta Enzyklopädie, Artikel 'Häresie', 'Inquisition', 'Katharer', 'Ketzer'
Soldan/Heppe, Geschichte der Hexenprozesse, neu bearb. u. hg. v. M. Bauer, München 1911
von Spee, Cautio Criminalis, München 1983 [unv. Nachdr. d. Ausg. Weimar 1939]
Thomasius, Vom Laster der Zauberei / Über die Hexenprozesse, München 1986 [unv. Nachdr. d. Ausg. Weimar 1967]
[Habiger-]Tuczay, Magie und Magier im Mittelalter, München 2003 [überarb. Neuausg. d. Ausg. München 1992]
Voltmer, "Abläufe, Ursachen und Hintergründe der großen Hexenverfolgungen in den Territorien zwischen Reich und Frankreich im späten 16. und im 17. Jahrhundert" in Beier-de Haan/Voltmer/Irsigler, Hg., Hexenwahn. Ängste der Neuzeit, Wolfratshausen 2002, zit. nach Hexen. Dokumente, Quellen, Analysen, Lexika, S. 3244-3280
Voltmer/Irsigler, Die europäischen Hexenverfolgungen der Frühen Neuzeit. Vorurteile, Faktoren und Bilanzen in Beier-de Haan/Voltmer/Irsigler, Hg., Hexenwahn. Ängste der Neuzeit, Wolfratshausen 2002, zit. nach Hexen. Dokumente, Quellen, Analysen, Lexika, S. 3097-3149
Wikipedia - Die freie Enzyklopädie, Artikel 'Häresie', 'Inquisition', 'Katharer'
Bibelzitate aus: Elberfelder Bibel, R. Brockhaus Verlag, 1985